Protestierende freilassen!

Porträtfoto von einem Mann mit Bart, der ein blaues Hemd trägt

Der türkische Kulturförderer Osman Kavala (Archivaufnahme)

Am 4. März hat ein türkisches Gericht eine Anklage gegen Osman Kavala, Yiğit Aksakoğlu und 14 weitere zivilgesellschaftlich engagierte Personen zugelassen. Bei einer Verurteilung drohen ihnen lebenslange Haftstrafen. Den 16 Angeklagten wird vorgeworfen, "die Regierung stürzen bzw. von ihren Aufgaben abhalten zu wollen". Grundlage ist ihr Engagement bei den Gezi-Park-Protesten von 2013. Amnesty International betrachtet die Anklage als konstruiert. Osman Kavala befindet sich bereits seit mehr als 16 Monaten und Yiğit Aksakoğlu seit fast vier Monaten in Untersuchungshaft. Die anderen Angeklagten befinden sich derzeit auf freiem Fuß oder leben im Exil – wie der Journalist Can Dündar, der in Deutschland wohnt. Osman Kavala und Yiğit Aksakoğlu müssen sofort und bedingungslos freigelassen werden.

Appell an

Justizminister

Mr Abdülhamit Gül

Adalet Bakanlığı

06659 Ankara

TÜRKEI

Sende eine Kopie an

BOTSCHAFT DER REPUBLIK TÜRKEI

S. E. Herrn Ali Kemal Aydin

Tiergartenstr. 19-21

10785 Berlin


Fax: 030-275 90 915


E-Mail: botschaft.berlin@mfa.gov.tr

Amnesty fordert:

  • Sorgen Sie bitte dafür, dass Osman Kavala und Yiğit Aksakoğlu sofort und bedingungslos freigelassen werden, und dass die haltlosen Anklagen gegen sie und die 14 weiteren Angeklagten fallengelassen werden.

Sachlage

Am 4. März entschied das Gericht für schwere Strafsachen in Istanbul, eine Anklage gegen Osman Kavala, Yiğit Aksakoğlu und 14 weitere zivilgesellschaftlich engagierte Personen zuzulassen. Den 16 Angeklagten wird vorgeworfen, mit ihren Aktivitäten bei den Gezi-Park-Protesten von 2013 "die Regierung stürzen bzw. von ihren Aufgaben abhalten zu wollen".

Die Gezi-Park-Proteste waren friedlicher Natur und es liegen keine stichhaltigen Beweise dafür vor, dass die in der Anklageschrift genannten Personen Gewalttaten begangen oder die öffentliche Ordnung gestört haben. Die Anklageschrift enthält unbegründete Vorwürfe und eine unwahre Schilderung der Ereignisse bei den Gezi-Park-Protesten. Damit soll versucht werden, einige der wichtigsten zivilgesellschaftlich engagierten Personen in der Türkei zum Schweigen zu bringen. Bei einer Verurteilung könnte den 16 Protestierenden lebenslange Haft ohne die Möglichkeit auf Bewährung drohen.

Osman Kavala befindet sich aufgrund dieser haltlosen Vorwürfe bereits seit mehr als 16 Monaten und Yiğit Aksakoğlu seit fast vier Monaten in Untersuchungshaft. Dies kommt einem willkürlichen Freiheitsentzug gleich. Die Zulassung der Anklage bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft und das Gericht der Ansicht sind, dass alle für die Strafverfolgung wichtigen Beweismittel zusammengetragen worden sind. Dies unterstreicht nur einmal mehr die willkürliche Natur der anhaltenden Inhaftierung von Osman Kavala und Yiğit Aksakoğlu.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Die Gezi-Park-Proteste begannen als Demonstration gegen die Umgestaltung des Gezi-Parks im Zentrum von Istanbul. Nachdem die Polizei scharf gegen die Protestierenden in Istanbul vorging, breiteten sich die Proteste rasch über das ganze Land aus. Millionen Menschen gingen auf die Straße und nahmen an überwiegend friedlichen regierungskritischen Massendemonstrationen teil. In der Anklageschrift wird diese Protestbewegung als zentrales Element einer Verschwörung zum gewaltsamen Umsturz der türkischen Regierung dargestellt. In der Anklageschrift wird versucht, die 16 Beschuldigten mittels haltloser Vorwürfe mit dieser mutmaßlichen Verschwörung in Verbindung zu bringen.

Bei den Angeklagten handelt es sich um: Osman Kavala, eine der führenden Persönlichkeiten der türkischen Zivilgesellschaft, den NGO-Mitarbeiter Yiğit Aksakoğlu, den Journalisten Can Dündar, den Anwalt Şerafettin Can Atalay, die Architektin Ayşe Mücella Yapıcı, den Stadtplaner Tayfun Kahraman, das Vorstandsmitglied der Kulturstiftung Anadolu Kültür, Ali Hakan Altınay, und den stellvertretenden Vorsitzenden von Anadolu Kültür, Yiğit Ali Ekmekçi, die Filmproduzentin Çiğdem Mater Utku sowie einige Personen, die an der Entstehung, Produktion und Aufführung eines interaktiven Theaterstücks beteiligt waren, welches die Behörden als Probedurchlauf für die Gezi-Park-Proteste betrachten.

Osman Kavala wurde am 18. Oktober 2017 am Flughafen Istanbul-Atatürk von der Polizei in Gewahrsam genommen, als er mit einem Flug aus Gaziantep im Osten der Türkei dort ankam. Am 1. November 2017 ordnete ein Richter an, ihn im Hochsicherheitsgefängnis Silivri in Untersuchungshaft zu nehmen. Dort befindet er sich nach wie vor. Yiğit Aksakoğlu wurde am 16. November 2018 von der Polizei festgenommen, gemeinsam mit zwölf weiteren zivilgesellschaftlich engagierten Personen. Während die übrigen Personen freigelassen wurden, nahm man Yiğit Aksakoğlu gemäß einer richterlichen Anordnung vom 17. November 2018 wegen "versuchten Umsturzes der Regierung" in Untersuchungshaft. In der Anklageschrift vom 4. März 2019 sind nur drei der Personen, die im November mit Yiğit Aksakoğlu festgenommen wurden, aufgeführt. Die neun anderen Personen befinden sich derzeit in Freiheit und sind nicht angeklagt, es wird allerdings gegen sie ermittelt. Yiğit Aksakoğlu ist nach wie vor im Gefängnis.

Die anhaltende Haft von Osman Kavala und Yiğit Aksakoğlu soll am 2. April überprüft werden. Ihre Rechtsbeistände haben dann erstmals die Möglichkeit, die Inhaftierung ihrer Mandanten auf Grundlage der vorgelegten Beweismittel und Anklagen anzufechten.

Das Recht auf friedliche Versammlung ist in verschiedenen Menschenrechtsabkommen verankert, deren Vertragsstaat die Türkei ist, so zum Beispiel im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966 und in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950. Das Recht auf friedliche Versammlung wird zudem durch die türkische Verfassung geschützt. Am 26. April 2015 sprach ein Gericht in Istanbul 26 Personen frei, die wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung an den Gezi-Park-Protesten angeklagt waren. Mit dem Urteil bestätigte das Gericht, dass die Protestaktivitäten unter das Recht auf friedliche Versammlung fallen. Eine der Angeklagten war damals auch Ayşe Mücella Yapıcı, die sich als Schriftführerin bei Taksim Solidarity engagierte. Taksim Solidarity ist ein Zusammenschluss von mehr als 100 Organisationen aus den Bereichen Architektur, Medizin, Ingenieurs- und Gewerkschaftswesen und einigen anderen, die sich gegen die Bauprojekte im Gezi-Park wenden. Eine der Anklagen, von denen Ayşe Mücella Yapıcı und vier andere freigesprochen wurden, war "Gründung einer Organisation zur Begehung einer Straftat".