Aktuell Deutschland 17. April 2018

Große Gala für das Nadeem-Zentrum

Viele Menschen stehen mit Blumen auf der Bühne, einer hält einen Preis in der Hand

Taher Mokhtar, mit dem 9. Amnesty Menschenrechtspreis, gemeinsam mit vielen Mitwirkenden der Preisverleihung

In der Berliner Volksbühne feierten 800 Gäste die Leiterinnen des ägyptischen Nadeem-Zentrums gegen Folter – sie sind die Trägerinnen des Amnesty-Menschenrechtspreises 2018. 

Der Name des Präsidenten fiel erst um fünf vor zehn, aber auch danach gehörte die Bühne seinen Gegnerinnen und Gegnern. Sieben Jahre sei es her, dass er Abdel Fattah al-Sisi zuletzt begegnet sei, erzählte der Generalsekretär von Amnesty International, Salil Shetty, kurz vor dem Ende eines langen Abends in der Berliner Volksbühne. Im Juni 2011 war das, wenige Monate nach dem Sturz Hosni Mubaraks. Ägyptens heutiges Staatsoberhaupt stand da noch an der Spitze des Armeegeheimdiensts, die Euphorie des Umsturzes auf Kairos Tahrirplatz war längst nicht verebbt. 

Dennoch ließen die Generäle des Hohen Militärrats den Amnesty-Generalsekretär drei Tage warten, ehe sie ihn endlich zu Sisi vorließen. Angenehm sei die Begegnung mit dem mächtigen Mann fürs Grobe des Militärs nicht gewesen, so Shetty. Doch wirksam: Noch im selben Jahr stellte die Armeeführung die frauenverachtenden Jungfräulichkeitstests ein, mit denen Demonstrantinnen auf dem Tahrirplatz auch nach dem Sturz Mubaraks drangsaliert worden waren.

"Ab und zu muss man ein bisschen Lärm machen, um gehört zu werden", hatte Shetty seine Laudatio auf die Leiterinnen des Nadeem-Zentrums für die Rehabilitierung von Opfern von Gewalt und Folter in Kairo eingeleitet: Die Ärztinnen und Psychiaterinnen Aida Seif al-Dawla, Magda Adly, Suzan Fayad und Mona Hamed sind das, vier "außerordentliche Frauen", die aller Repression zum Trotz nicht aufhörten zu kämpfen. 

Und die zur Verleihung des Amnesty-Menschenrechtspreises nicht in Berlin sein konnten, weil die Regierung in Kairo ihnen die Ausreise verweigerte. Aus einem simplen Grund, so Shetty: Mit ihrer Arbeit forderten sie "das System endemischer Folter der ägyptischen Sicherheitskräfte" heraus – kurzum, sie leisteten Widerstand. Mehr als 7.000 Menschen sind seit 1993 von den Nadeem-Mitarbeiterinnen behandelt worden.

Warum verkaufen Sie Waffen an Sisi?

Salil
Shetty
Internationaler Amnesty-Generalsekretär

Deutschland als eines der mächtigsten Länder der Welt hingegen kooperiere mit den ägyptischen Machthabern, obwohl inzwischen jeder wisse, dass der Sicherheitsapparat brutaler gegen Oppositionelle vorgehe als einst Mubarak. "Warum verkaufen Sie Waffen an Sisi?", fragte der Amnesty-Generalsekretär an die Adresse der Bundesregierung gewandt und erntete damit den Beifall der gut 800 Gäste aus Politik, Kultur, Medien und Zivilgesellschaft, die am Montagabend in die Volksbühne gekommen waren. 

Viel Applaus erhielt auch Aida Seif al-Dawla, die in einer Videobotschaft ihren Dank für den Preis ausdrückte. Diesen nahm stellvertretend für das Nadeem-Zentrum der ägyptische Arzt Taher Mokhtar entgegen, der aus dem französischen Exil nach Berlin gekommen war. Die Nadeem-Macherinnen seien Lehrerinnen für ihn gewesen, das Zentrum seine Schule.

Wenn die Musik verboten ist, dann sind wir am Ende.

Katja
Riemann
Schauspielerin

Eine Schule des Widerstands, der Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger weltweit angehören. Und die am Montagabend gefeiert wurden: von den türkischen Pianistinnen Ferhan und Ferzan Önder, von dem irischen Sänger Damien Rice mit dem Chor Cantus Domus sowie der Band um den in Kairo geborenen Musiker Fetsum. Und von der Schauspielerin Katja Riemann, die beschwingt durch den Abend führte und von Beginn an den richtigen Ton setzte: "Wenn die Musik verboten ist, dann sind wir am Ende."

Auch wenn die Macherinnen des Nadeem-Zentrums in der Volksbühne schmerzlich fehlten, sorgte Besuch aus Übersee und Ungarn für frischen Wind auf der Bühne: Berta Zúñiga Cáceres, die den Kampf ihrer ermordeten Mutter für die Landrechte Indigener in Honduras weiterführt. Und Anikó Bakonyi vom Helsinki-Komitee in Ungarn, die wie Hunderte ihrer Kolleginnen und Kollegen ins Visier des autoritären Staatschefs Viktor Orbán geraten ist. "Wir sind stolz darauf, Teil dieser leuchtenden Gruppe zu sein", sagte Bakonyi. Sie hatte ihre Laufbahn vor einigen Jahren als Praktikantin im Berliner Amnesty-Büro begonnen.

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